17th German International Ethnographic Film Festival (GIEFF) 2024:
Göttingen, 08.-12. Mai 2024
Das Göttinger International Ethnographic Film Festival (GIEFF) dieses Jahres war mehr als nur eine Veranstaltung, bei der Filme gezeigt wurden – es war ein Raum für Reflexion, Begegnung und Diskussion. Das Festival zog eine breite Auswahl an Filmemacher*innen und Studierenden an, die alle durch ein gemeinsames Interesse an der visuellen Anthropologie verbunden waren. In der historischen Kulisse der Paulinerkirche an der Universität Göttingen erlebten die Teilnehmenden über 40 Filme, die sich aus verschiedensten Perspektiven der ethnografischen Realität näherten. In den Pausen und nach den Screenings boten sich zahlreiche Gelegenheiten für Gespräche und den Austausch von Ideen, was das Festival zu einem einzigartigen Erlebnis machte.
Für David Seehafer, der das GIEFF erstmals besuchte, war das Festival eine Quelle der Inspiration. Besonders beeindruckend fand er die Diversität der Filme und die Möglichkeit, sich direkt mit den Filmemacher*innen auszutauschen. Die Bandbreite reichte von künstlerischen, innovativen Ansätzen über kollaborative Produktionen bis hin zu klassischen Dokumentationen. Seehafer hebt hervor, wie das Festival eine Alternative zur klassischen ethnologischen Forschung bietet, die häufig als isolierte Tätigkeit wahrgenommen wird. In den kollaborativen Filmen erlebte er, wie durch gemeinschaftliches Arbeiten neue Perspektiven auf kulturelle Realitäten entstehen. Gleichzeitig betont Seehafer die Herausforderungen des Mediums: Ein unzureichend bearbeiteter Film kann den Nutzen eines visuellen Ethnografieansatzes einschränken und seine Stärken im Vergleich zum Text untergraben.
Johann Olenitsch betrachtet das GIEFF als einen Ort, an dem die Bedeutung der Kamera und des Schnitts kritisch hinterfragt wird. Filme, vor allem ethnographische Dokumentationen, vermitteln oft das Gefühl, mitten im Geschehen zu sein, obwohl die Realität des Gezeigten von der subjektiven Auswahl der Filmemacher*innen geprägt ist. So liegt die wahre Stärke des GIEFF nicht nur in den Filmen selbst, sondern auch in den Gesprächen, die zwischen den Vorstellungen entstehen. Ein besonderer Höhepunkt war der Film „Ten by Ten“ von Jami L. Bennett, eine humorvolle Auseinandersetzung mit dem Leben der Schwester der Filmemacherin in Südkorea. Bennett bricht mit dem klassischen, oft ernsten Ton ethnographischer Filme und integriert Humor, was das Publikum zum Schmunzeln und Reflektieren anregte.
Auch Vera Benter beschreibt, wie das GIEFF die Teilnehmenden in eine andere Welt eintauchen lässt. In den dunklen Räumen der Paulinerkirche, umgeben von historischen Büchern, fesselte das Programm die Aufmerksamkeit der Zuschauer*innen. Die thematische Breite der Filme – von den Kämpfen iranischer Frauen über die Unabhängigkeitsbewegungen in Bougainville bis hin zum Alltag italienischer Fischer – regte das Publikum zum Nachdenken an. Die Vielfalt der Perspektiven bot einen Einblick in verschiedenste Lebenswelten und eröffnete neue Wege der filmischen Darstellung. Ein herausragender Film war „Ruins of a Childhood Memory“ von Ignacio Rodriguez, der die Geisterhaftigkeit der Ruinen in der Atacama-Wüste einfängt und dabei die persönliche Verbindung des Filmemachers zu dieser verlassenen Stadt zeigt. Solche Filme, so Benter, berühren das Publikum auf einer tiefen emotionalen Ebene und verdeutlichen die Verbindung zwischen persönlichen und kulturellen Erfahrungen.
Die Covid-19-Pandemie beeinflusste viele der gezeigten Filme auf subtile Weise. Die Einschränkungen und Kontaktbeschränkungen der Pandemie führten dazu, dass viele Filmemacher*innen ihre familiären Beziehungen in den Mittelpunkt stellten. Diese Nähe schuf eine zusätzliche Intimität in den Filmen, die das Publikum tief berührte und persönliche Perspektiven ermöglichte, die ansonsten vielleicht unentdeckt geblieben wären. Der filmische Umgang mit der Pandemie reflektierte die Herausforderungen, die viele Filmemacher*innen in dieser Zeit durchlebt haben, und machte deutlich, wie sich persönliche und professionelle Welten unweigerlich überschneiden können.
Ein zentraler Aspekt des GIEFF war die Möglichkeit zur Vernetzung. Menschen aus unterschiedlichen Städten und Ländern kamen zusammen und entwickelten neue Ideen und berufliche Perspektiven. Das Festival schuf ein starkes Gemeinschaftsgefühl und bot Raum für respektvollen Austausch, der weit über die Leinwand hinausging. So entstand eine lebendige Gemeinschaft, die sich nicht nur für Filme, sondern auch für die Zukunft der visuellen Anthropologie begeisterte. Dieser Austausch ist es, der das GIEFF letztlich zu einer einzigartigen Erfahrung macht – es ist nicht nur ein Ort des Schauens, sondern auch des Lernens und des Verständnisses.
David, Michelle, Johann, Shereen, Steffen und Vera danken den Dozierenden des Instituts für Ethnologie der Universität Hamburg herzlich für die freundliche Unterstützung beim Ausflug zum GIEFF 2024!